ULF TORRECK - Fest der Finsternis
- Die Stadt der Liebe spuckt ihren Abschaum aus -
„Fest der Finsternis“ ist ein historischer Kriminalroman, der auf einem einstmals real existierenden Personenkreis aufgebaut und in den Anklängen des 19. Jahrhunderts in Paris angesiedelt ist. Die Geschichte spielt zu der Zeit, als die Pest grassiert und ganz Europa fest in ihrem Würgegriff hält. Der, 1973 in Leipzig geborene Autor Ulf Torreck, nimmt es mit den Zeitepochen, Vitae und persönlichen Beziehungen seiner Protagonisten allerdings nicht ganz so genau. So ward ein allerletztes Aufflammen der Pest in Frankreich 1786 in Marseille dokumentiert und Hauptprotagonist Inspecteur de Police Louis Marais 1805 bereits ein Vierteljahrhundert tot. Wobei hier die Meinungen stark differieren. Aber sei es drum, schließlich handelt es sich bei „Fest der Finsternis“ um Trivialliteratur mit bemerkenswertem Unterhaltungswert, einem köstlich umschriebenen Personenkreis und einer verkommenen, faulig-modrigen Grundstimmung.
Der überaus hartnäckige Inspekteur de Police Louis Marais ist von Polizeiminister Joseph Fouché höchstpersönlich nach Brest strafversetzt worden. Als Marais‘ Frau Nadine und sein Sohn Paul der Pest zum Opfer fallen, versucht sich Marais das Leben zu nehmen. Kurz nachdem er sein Vorhaben noch einmal überdenkt und selbiges vorerst auf die lange Bank schiebt, wird er von Fouché nach Paris zurückbeordert. Zum Commissaire du Police Judiciaire degradiert, soll er Ermittlungen zu den jüngsten Vorfällen in der französischen Hauptstadt aufnehmen.
Denn mitten hinein in diesen unsäglichen Zustand des allseitigen Leids, sticht ein brutaler Mörder, der es auf junge Frauen abgesehen zu haben scheint. Als der Clochard Nounous die kopflose Leiche eines toten Mädchens aus der Seine angelt, hat Marais die Antwort auf die Frage nach seiner Rekrutierung durch Polizeiminister Fouché und gleichzeitig seinen nächsten Fall. Der Pathologe Doktor Mounasse stellt fest, dass das Mädchen kurz vor ihrer Ermordung ein Kind entbunden haben muss. Außerdem hat man ein silbernes Kreuz in ihrer Vagina platziert. Das dies nicht die einzige weibliche Leiche in der Form darstellt, wird Inspektor Marais schnell klar, als eine Reihe weiterer grässlicher Morde verübt wird und Marais dabei stets im Dunkeln tappt. Die Leichname sind auf grausamste Art und Weise verstümmelt. Angst und Schrecken, Revolten und eine infame Unsicherheit prägen das Bild dieser verruchten Stadt, in der sich schwarze Messen mit absolut widerwärtigem Hintergrund zutragen sollen. Das Beschriebene und die mörderischen Taten sind zum Teil echt harter Tobak und nichts für zarte Gemüter.
Marais‘ Ermittlungen führen ihn in das weitverzweigte Netz des französischen Hochadels und er erhält hierbei direkte Unterstützung eines weltberühmten Insassen der Irrenanstalt Charenton, welche sich weit im Süden von Paris befindet. Niemand geringerer als der adelige Libertin (Freigeist) und Verfasser einiger pornographischer, kirchenfeindlicher und philosophischer Romane Namens Donatien Alphonse François de Sade (besser bekannt als Marquis de Sade), einem der führenden Connaisseure, wenn es um die Verknüpfung der Themen Sex und Gewalt geht, steht Louis Marais zur Seite. „Es braucht ein Monster, um ein Monster zu jagen“, um es mit Marais‘ Worten zu erklären. Dass, sich die beiden tatsächlich kannten und de Sade den Inspecteur de Police, der ihn des Öfteren wegen seiner unzüchtigen Ausschweifungen festnahm, tatsächlich als seinen Lieblingspolizisten bezeichnete, lag laut Aussage des Marquis an der bemerkenswerten Intelligenz und Redegewandtheit Marais. Man schickte nun also nach de Sade und unterstellte den, in die Jahre gekommenen und fett gefressenen, Gicht und Rheuma geplagten Mittsechziger der Aufsicht des frisch gebackenen Commissaire du Police Judiciaire. Da die beiden Streithähne unterschiedlicher kaum sein könnten, entbrennt auf kurz oder lang eine Art Hassliebe, die sich allerdings nicht zu sehr in den Vordergrund drängt oder gar von den Geschehnissen abzulenken droht und sich immer wieder in kleinen Spitzen zwischen den beiden äußert. Die Geschichte erfährt durch die Investigationen der beiden ungleichen Protagonisten, ein leichtes Flair von Sherlock Holmes und Dr. Watson. Marais hat natürlich auch so seine Schwierigkeiten mit der respektlosen und vulgären Art de Sades. Sehr zum Leidwesen Marais gibt der Marquis nämlich stets seine unpassenden Expertisen ab, mit denen selbiger aber gar nicht mal so unrecht zu haben scheint oder beantwortet Fragen schon mal mit einer nachgeahmten oder geruchsechten Flatulenz.
Der historische Roman ist an die damalige Ausdrucksweise angelehnt, jedoch dahingehend recht verständlich und unkompliziert geschrieben. Es wird unter anderem über den jungen Marquis de Sade berichtet, wie er neben seinen Pflichten als Ehemann Unzucht mit dem Comte (Graf) trieb, wie er im Gefängnis saß, der Guillotine entging und im geheimen seine Bücher schrieb. Leider sind diese erzählerischen Ausschweifungen zum Auftakt des Plots etwas langatmig geraten, was den Lesefluss auf den ersten siebzig Seiten immer wieder stark auszubremsen droht. Das Buch besitzt jedoch einen ganz besonderen Charakter und baut in dieser Stimmung vergangener Epochen, trotz der teils vulgären Sprache und expliziten Gewaltdarstellungen, eine ganz spezielle Gefühlsregung beim Leser auf. Man atmet förmlich den Gestank, die Feuchtigkeit und den Moder aus Paris Gossen, den Dreck und die Fäkalien aus den Abwasserkanälen und die kalte, erniedrigende Hierarchie der Pariser Gesellschaft. Die Geschichte eröffnet von der Grundstimmung her so einige Parallelen zu dem modernen Klassiker "Drood" von Dan Simmons. Dem Plot fehlt es jedoch an einer konsequenten Konstante, denn er wirkt eher ein wenig wirr, grotesk und durcheinander. Der ehemalige Rausschmeißer und Barmann Ulf Torreck lässt es außerdem, sehr zum Leidwesen des Lesers, ein wenig an Lokalkolorit mangeln.
Die Ermittlungen führen den Commissaire du Police Judiciaire unter anderem nach Bicêtre, einem weiteren Irrenhaus vor den Toren von Paris, wo er mit dem ehemaligen Polizeiarzt sprechen will, der nach den ersten Morden dieser Art in einen katatonischen Zustand vollkommener Leere, einhergehend mit Stupor (Starre des gesamten Körpers) und akinetischem Mutismus (antriebsgestörtes Schweigen), gefallen zu sein scheint.
Aber auch hier kommt Commissaire Louis Marais trotz enormer Gewaltausbrüche und Folterung seinerseits, was ihn um ein Haar selbst zum Mörder werden lässt, keinen Schritt weiter. Trotz Marais großspuriger, ja teils gar großkotziger Art, zieht er in der kranken Pariser Unterwelt anno 1805 die Sympathien auf sich. Wie ein Besessener ackert Marais an seinem Fall. Allmählich scheint er daran zu zerbrechen und zugrunde zu gehen. Der große Inspektor Marais nur noch Schatten seiner selbst? Mitnichten! Eine Kriminalgeschichte nimmt ihren Lauf, in der Marais mit seinem neu rekrutieren Assistenten Aristide und dem Asylum Insassen Marquis de Sade ermittelt. Von allen möglichen Seiten werden ihnen Fallen gestellt oder Steine in den Weg gelegt. Auf ihrem gemeinsamen Weg und ihren Ermittlungen begegnet das ungleiche Paar allerlei illustren Gestalten, die ihnen mal mehr mal weniger hilfreich bei ihren Investigationen zur Seite stehen. Dabei kommen sie einem grausamen Motiv auf die Schliche, das sich für meinen Geschmack allerdings etwas zu grotesk ausnimmt. Der historische Thriller/Kriminalroman hat sein ganz eigenes Flair und ist durchaus lesenswert, wenn auch nicht immer ganz glaubwürdig. Die Leichen und deren zum Teil amputieren Körperteile werden hierbei recht explizit beschrieben, was vielleicht nicht jemand Sache sein dürfte. Der 672 Seiten starke Plot liest sich ansonsten ganz gut, weist aber durchaus verzichtbare Längen auf. Auch flacht die Geschichte zu ihrer Aufklärung hin leider ein wenig ab. Ulf Torreck schreibt übrigens auch unter dem Pseudonym David Gray.
https://www.facebook.com/UlfTorreck
Meine Wertung: 82/100
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DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Paperback, Klappenbroschur, 672 Seiten, 13,5 x 20,6 cm
ISBN: 978-3-453-67713-5
€ 14,99 [D] | € 15,50 [A] | CHF 20,50* (* empfohlener Verkaufspreis)
Verlag: Heyne Hardcore
Erschienen: 13.02.2017