In den ersten Zuckungen des neuen Jahrtausends hängt der Mittfünfziger Tom Roberts den Gedanken an seinen vor zehn Jahren verstorbenen Sohn in einem Pub nach. Steven wäre heute Anfang 30, wäre der junge Soldat nicht bei einem Trainingsunfall in der Porton Down (einer Forschungseinrichtung für Chemie- und Biowaffen, in der südenglischen Grafschaft Wiltshire, in der seit den 1920er Jahren weit mehr als 20.000 Versuche an Armeeangehörigen durchgeführt wurden) in der Salsbury Plain ums Leben gekommen. Zumindest wenn man der offiziellen Version der britischen Armee über die folgenschweren Geschehnisse Glauben schenken darf, die Tom und seiner Frau Jo damals vorgetragen wurde. Während einer Unterhaltung zweier Gäste schnappt Roberts die Worte "Porton Down" und die Aussage "Die haben Monster gefangen gehalten." auf. Aus einer Laune heraus beschließt er den beiden Männern nach draußen zu folgen. Diese zeigen sich jedoch weder kooperativ noch informativ. Als er einige Tage später einen der beiden Männer namens Nathan King erneut im Pub trifft, erfährt Tom Dinge über die Porton Down, die besser tief im Verborgenen geblieben wären.
Der 1969 in London geborene Horror- und Dark Fantasy Autor Tim Lebbon stimmt in seinem unkonventionellen, mysteriösen, 336 Seiten umfassenden Horror Roman "Berserk", der ursprünglich im Jahre 2006 im Original unter dem gleichen Titel erschien, ein in einen ausgewogenen Singsang aus Melancholie, Schwermut und metaphorischem Gedankengut. Verschwörerisch, geheimnisvoll und mit geistreichen Wortspielen, die bereits Genanntes wieder aufgreifen und abgebrochene Gedankenspiele weiterspielen, lockert der Autor die bedrückende Stimmung immer wieder auf. Aus der Sicht des Beobachters erzählt, kann man sich als Leser gut auf den vitalen, spannungsgeladenen Plot einlassen und tief in selbigen eintauchen. Der britische Autor Tim Lebbon, der sich selbst als glatzköpfigen, bärtigen, Kuchen liebenden Triathlon-Läufer und Schriftsteller beschreibt, verwebt die bleierne Trostlosigkeit seines Storyboards in der Poesie seiner Worte, hält sie gefangen, bündelt sie, gibt sie an geeigneter Stelle wieder frei und dem Leser dadurch ein bedrückendes Gefühl mit auf den Weg.
Da sich Stevens Todestag heuer zum zehnten Mal jährt, beschließen die Roberts über das Wochenende zum militärischen Sperrgebiet der Salisbury Plain zu fahren. Mit einer Karte bewaffnet, auf der ein rotes X prangert und die offensichtlich von Nathan King stammt, setzt sich Tom vor Ort ab, denn Jo in seine tatsächlichen Pläne einzuweihen ist für ihn keine Option. So begibt sich Tom auf militärisches Sperrgebiet und beginnt an der Stelle mit dem X auf der Karte zu graben.
- Tränen tropften von seinem Kinn und verschwanden zwischen den Leichen, wo sie vielleicht kleine Flecken auf den Knochen seines Sohnes abwuschen -
Doch was Tom Roberts da aus dem Erdreich zieht und von der Salisbury Plain mit nach Hause nimmt, hätte besser niemals mehr das Licht dieser Welt erblickt. Er spürt vollkommen zu Recht, dass sein Leben von nun an keinen Pfifferling mehr wert ist. Und während Tom mit seiner fleischgewordenen Büchse der Pandora vor einem todbringenden Verfolger flüchtet, wird sein Geist infiltriert. Eine spektakuläre und actiongeladene Jagd um Leben und Tod beginnt. Denn der Tod ist erst der Anfang.
Der vergeistigte Horrortrip, den Tim Lebbon mit "Berserk" entwirft, nimmt ab dem zweiten Drittel eine seltsame Wendung, die stark in die Fantastik abdriftet. Der sprunghafte Plot, wirkt auf mich zum Teil etwas konturlos und nicht wirklich greifbar, obschon Lebbon seinen Horror Roman unheimlich spannend, fesselnd und bedrohlich aufgebaut hat. Ich habe jedoch den tief gehenden Verdacht, dass dieses heraufbeschworene (Gedanken-)Chaos vom Autor, der bereits über vierzig Romane veröffentlicht hat, genau so beabsichtigt war, denn der geistreiche Plot nährt sich von der allmählichen Metamorphose und der damit einhergehenden, abdriftenden Gedankenwelt seiner Akteure. Lebbon, der heute mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Goytre, Monmouthshire lebt, hat das Gefühl von Verträumt-, bzw Verpeiltheit seiner Protagonisten 1A rübergebracht.
Band 8 der erfolgreichen Cemetery Dance Germany Reihe wurde mit einem Vorwort des "King of Perversity" Edward Lee versehen und ist auf 999 handsignierte und handnummerierte Exemplare streng limitiert. Das faszinierende Cover und die schaurig schönen, lebensechten und situationsgetreuen Illustrationen stammen aus der Feder des britischen Illustrators und Designers Vincent Chong. Selbige unterstützen und versinnbildlichen die knochentief unter die faulende Haut gehende Geschichte ungemein. Sicherlich ist "Berserk" in der Ausgabe des Buchheim Verlags/Cemetery Dance Germany nicht ganz billig, dafür wird das hochwertige Hardcover mit Lesebändchen im original amerikanischen Buchformat, wie auch seine blutige Story das Herz eines jeden bibliophilen Horror Sammlers in Ekstase versetzen.
(Janko)
https://www.timlebbon.net/
https://www.facebook.com/tim.lebbon
Brutalität/Gewalt: 88/100
Spannung: 85/100
Action: 87/100
Unterhaltung: 84/100
Anspruch: 23/100
Humor: 3/100
Sex/Obszönität: 7/100
LACK OF LIES - Wertung: 85/100
"Berserk" beim Buchheim Verlag: https://www.buchheim-verlag.de/cemetery-dance-germany/band-8-tim-lebbon-berserk
Tim Lebbon - Berserk
Horror
Buchheim Verlag
ISBN-13: ohne
335 Seiten
Gebunden, handsigniert, handnummeriert, illustriert
Originaltitel: Berserk
39,99 Euro
Erscheinungsdatum: 19.11.2020