THERION - Beloved Antichrist
In ihrem 30. Lebensjahr (1988 hervorgegangen aus den Death Metal / Extrem Metal Bands BLITZKRIEG und später MEGATHERION) veröffentlichen die schwedischen Symphonic Operatic Metaller THERION um Bandkopf Christofer Johnsson ihr 16. Opus „Beloved Antichrist”. Es ist eine epische Klassik/Rock Oper in drei Akten und in ganz besonderem Stile geworden. Dramaturg Johnsson, der in Schwedens Hauptstadt Stockholm residiert, ist seit jeher bekannt für seine experimentelle Ader, seine starken Inszenierungen und seine Alben mit Überlänge. So kann „Beloved Antichrist“, welches man auf drei Tonträger gebannt hat, auch mit einer Gesamtspielzeit von über drei Stunden aufwarten. Um es gleich vorwegzunehmen, das Bühnenstück „Beloved Antichrist“ ist eine modern gehaltene, komplex strukturierte Klassik Oper, die von ihren Rock- und Metalelementen getragen wird. Für den, in klassischer Musik ungeübten Hörer, können diese epischen, knapp 183 Minuten durchaus anstrengend werden, denn hier steht ganz klar der modern interpretierte Klassik- und Operngedanke an erster Stelle, der auf dem kompletten Album konsequent durchgezogen wird. So lassen THERION keinerlei Platz für rockiges Geträller oder gar Ausuferndes wie Death/Black Vocals, da fast ausschließlich auf Operngesänge gesetzt wird. Wer hier also ein Metal oder zumindest Symphonic Metal Album mit verschiedentlich gearteten Gesangsperformances erwartet, wird eventuell eine Enttäuschung erleben. Natürlich greift die Oper „Beloved Antichrist“ hier und da schon mal auf härtere Passagen zurück, doch diese sind in der Gesamtbetrachtung eigentlich eher nebensächliches Beiwerk und kommen in der Klassik naturgemäß nur selten zum Einsatz.
Dem Geiste Christofers bereits vor 15 Jahren entsprungen, nahm sich selbiger die Zeit, sein ehrgeiziges, monströses und ausladendes Opernprojekt endlich in die Tat umzusetzen. In den letzten sechs Jahren nahm seine Idee allmählich konkretere Formen an und er kreierte die ersten Stücke. Die Symphonic Metal Pioniere - allen voran der langjährige Vegetarier und THERION Komponist Christofer Johnsson himself - haben sich dabei von Vladímir Soloviovs „Kurze Erzählung vom Antichrist“ inspirieren lassen. „Zu Beginn basierte ungefähr 50% auf Soloviovs Werk, aber mit dem fortschreitenden Songwriting haben wir die Geschichte immer mehr verändert", führt Mastermind und Musikproduzent Johnsson aus. Neben den Performances des langjährigen THERION Sängers und Flötisten Thomas Vikström (ex-CANDLEMASS), sowie der beiden Sängerinnen Lori Lewis und Chiara Malvestiti, beinhaltet „Beloved Antichrist“ noch weitere 24 Gesangsrollen. Dazu erklärt Christofer:
„Linnea Vikström, die häufig von der Band angeheuert wird und Thomas‘ Tochter ist, durfte auch am Schreibprozess teilnehmen und sie ging zu einer Musikschule, wo sie mit einigen wirklich fantastischen Nachwuchstalenten wie Erik Rosenius in Kontakt kam. Er ist atemberaubend gut und spielt die Rolle des Satans/Teufels. Thomas Vikström ist ein alter Jugendfreund von Marcus Jupither, der einer der größten schwedischen Opernstars unserer Zeit ist. Er hat 2010 aus Spaß einen kleinen Gastauftritt auf »Sitra Ahra« gehabt, aber jetzt hatten wir ihn gebeten, eine der männlichen Rollen zu übernehmen. Da er ein alter Freund war, der zusammen mit Thomas als Kind viele ungezogene Dinge trieb, war es perfekt, ihn die Rolle des Appolonius spielen zu lassen, der ein östlicher Magier und ein Verbündeter des Antichristen ist. Der Rest der Leute, mit denen ich gearbeitet habe, waren Musiker, die wir von Freunden und Vertrauten empfohlen bekamen.“
Insgesamt 46 melodisch progressive, eingängige Klassikkompositionen folgen komplexen Strukturen und ausgeklügelten Arrangements aus seichten Klängen, zerbrechlichen Stimmen bis hin zu starken Charakteren mit bombastischen Stilmitteln aus Chor, Opernsängern/-sängerinnen, Orchester, Solisten, E-Bass, E-Gitarre, Oboe, Zitter, Posaune, Querflöte, Piano, Trommeln, Trompete, Contrabass, Geige, Pauken, Schlagzeug und weiteren verschiedenen Perkussions. THERION kreieren so ihre ganz eigene Welt der modern interpretierten, klassischen Musiklandschaften. Die Produktion und der Aufwand den man hier betrieben hat, war sicherlich immens. Die Platzierung und der Einsatz der jeweiligen Instrumentierung, wie auch ihr Zusammenwirken, sind bis ins Detail durchdacht und geradezu in perfektionistischer Akribie zusammengesetzt. Nicht die kleinste Facette wirkt störend oder deplatziert. „Beloved Antichrist“ ist ein Album geworden, mit dem man sich sehr lange beschäftigen kann, wenn man denn gewillt ist, die gelungene Mischung aus Oper und Rockmusik zu verstehen und in sich aufzusaugen. Jeder einzelne Musiker weiß genau, wie er sich einzusetzen und auszudrücken hat. Dennoch hätte man für meinen Geschmack gerne etwas tiefgründiger, wie auch anspruchsvoller vorgehen können, in den Gesangsperformances mehr differieren und nicht fast ausschließlich auf Opern- oder Chorgesänge setzen sollen, denn dadurch bleibt „Beloved Antichrist“ in der Gesamtbetrachtung dann doch zu gewöhnlich. Ich meine auch, dass THERION 16.0 gerade dadurch anstrengend werden kann, zumal sich die Qualität des dritten und letzten Akts gegenüber den ersten beiden Akten leider etwas zurücknimmt. Ansonsten verschmelzen die Schweden Rock und Klassik zu einer ansprechenden und gefühlvollen, mal melancholischen, mal düsteren, mal bedrohlichen, mal hoffnungsvollen und fröhlichen Symphonic Rock Opera, die ihre Dramaturgie über eine eingängige und einfühlsame, melodische bis bombastische, detailreich und liebevoll ausgeschmückte Soundarchitektur, eigenwillige und extravagante Operngesänge, sowie die glasklare, differenzierte und in den Lautstärkedynamiken exzellent arrangierte Produktion bezieht. Jede einzelne Komposition erhält dadurch ihr ganz eigenes, durchaus auch mal spaciges und mystisches Flair. Diese monumentale, ausladende Symphonic Rock/Metal Oper ist ganz großes Kino und insbesondere für audiophile Klassik-, wie Rockfans in seiner Gesamtheit - selbst nach mehreren Durchgängen - nicht zur Gänze zu erfassen. Hier heißt es Augen zu und genießen!
Nicht erst seit „Beloved Antichrist“ ist die Band THERION, welche an „das wilde/das große Tier“ in der „Offenbarung des Johannes“ angelehnt ist, komplett weg vom Death Metal der Anfangstage, der, wenn auch nur vereinzelt, in den letzten Jahren gelegentlich noch einmal durchschien. Mit dem neuen Epos ist man sämtlich in die Klassik eingetaucht, aus der das Konzept kaum einmal auszubrechen wagt. Für meinethalben hätte man gerne ein paar deftigere Passagen, vielleicht auch ein paar Death/Black Vocals (der Dämonen oder des Teufels), wie auch einen hier und da etwas extravaganter und extrovertierter, dadurch expressionistischer interpretierten Gesang einbauen können, denn ich muss schon zugeben, dass es durchaus zermürbend sein kann, die komplexe Oper mit allen drei Akten am Stück zu hören. Denn obschon mir der zweite Akt von der musikalischen Ausrichtung marginal härter erscheint als der Erste, ist dieser nicht minder stark in der Klassik verwurzelt. Trotz all der positiven Aspekte hätte man musikalisch auch gerne mehr Experimente wagen, mehr in die Tiefe gehen, etwas überraschender, wie auch unorthodoxer agieren, vielleicht auch mal schocken dürfen. Denn Schockmomente gehen dem Album beinahe gänzlich ab. Aber das hatte Johnsson für seine definitiv als gelungen zu bezeichnende Symphonic Rock Oper nun mal nicht im Sinn. Mir fehlen aber die echten, markanten Hits und ihre Extravaganz. Da kann es auch keine Entschuldigung sein, dass die Oper als Ganzes wirken soll.
"Beloved Antichrist" ist ohne Frage eine starke Inszenierung, die allerdings nicht jemand Sache sein dürfte, da sie, wie bereits angesprochen, eher in der Klassik, denn im Metal verwurzelt ist. Die teils sonderbaren Kompositionen erinnern mich ein ganz klein wenig an Szenegrößen wie den Briten Mike Oldfield, der ebenfalls stets Sänger(innen) für die gesanglichen Interpretationen seiner Songs engagiert hat oder auch an den französischen Komponisten Jean-Michel Jarre. Und es sind auch hier weniger die harten Klänge, als vielmehr die seichten bis rockigen, die den Antrieb von THERION's „Beloved Antichrist“ bilden und die Hörerschaft zum kollektiven Träumen, Ausschweifen und Eintauchen einladen. Viele Passagen dürften dem geneigten Hörer leicht zugänglich sein, in gewisser Weise vielleicht sogar bekannt vorkommen und so strahlt das Album, trotz der überwiegend melancholischen Grundstimmung, eine gewisse Leichtigkeit und Coziness aus. Das Einzige, bei dem man sich bei THERION sicher sein kann ist, dass man sich bei THERION eben bei nichts sicher sein kann. Weibliche und männliche Operngesänge, einfühlsam bis kräftig vorgetragen, untermalen die operettenhaften Stücke zwischen Trauer und Hoffnung. Gemeinsam mit seiner enorm ansprechenden, der Situation stets angepassten, meisterlichen Gitarrenarbeit, beschwören sie die unterschiedlichsten Stimmungen herauf. Wie ein Schweizer Uhrwerk fasst hier ein Rädchen ins andere. Alles passt wie die Faust aufs Auge. Eigentlich ist die Klassik/Rock Oper „Beloved Antichrist“ für die Bühne konzipiert worden und als gigantische Produktion für ausgewählte Opernhäuser gedacht, die man auch auf Tonträger verfügbar machen wollte. Wie die Umsetzung als Oper mit all ihrer aufwendigen Logistik on stage gebracht und finanziert werden kann, ist jedoch noch nicht bekannt. Sobald THERION ihre fast dreimonatige Tour absolviert haben, werden diese Fragen sicherlich alsbald geklärt werden. Jedenfalls sind die Zeiten, als Tobias Sidegård (bis 2013 bei NECROPHOBIC) auf der „Theli”-Tour noch für Freibier spielte, längst zu lustigen Anekdoten verschwommen.
Kreativkopf Christofer Johnsson, der im zarten Alter von 15 Jahren mit dem Bassspielen begann, residiert heute gemeinsam mit Freundin Mina Karadzic und Kind in der dekadenten, aber auch geschmackvoll eingerichteten und von ihm selbst designeten Villa Adulruna, welche sich tief im Wald im Süden Stockholms befindet. Als Einflüsse gibt er Richard Wagner, Richard Strauss, URIAH HEEP, PINK FLOYD, CELTIC FROST, Uli Jon Roth, ACCEPT, IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, KLAATU, PAVLOV’S DOG, ELOY, 70's Prog und dem französischen Baroque Pop der 1960er Jahre an.
Hier seht ihr die Rollenverteilung der Rock-Oper „Beloved Antichrist“:
Role |
Voice |
Act 1 |
Act 2 |
Act 3 |
Singer |
Antichrist |
Tenor |
x |
x |
x |
Thomas Vikström |
Johanna |
Soprano |
x |
x |
x |
Chiara Malvestiti |
Helena |
Soprano |
x |
x |
x |
Lori Lewis |
Agnes |
Mezzo |
x |
x |
x |
Ulrika Skarby |
Mare |
Soprano |
x |
x |
x |
Lydia Kjellberg |
Sophia |
Soprano |
x |
x |
x |
Melissa Verlak |
Appolonius |
Baryton |
|
x |
x |
Markus Jupiter |
Professor Pauli |
Tenor Barytone |
|
x |
x |
Linus Flogell |
Satan |
Bass |
x |
x |
|
Erik Rosenius |
Priest |
Bass |
x |
|
|
Mikael Schmidberger |
President |
Tenor |
x |
|
|
Kaj Hagstrand |
President’s wife |
Mezzo |
x |
|
|
Matilda Wahlund |
Male voter |
Baritone |
x |
|
|
Samuel Jarreck |
Female voter |
Alto |
x |
|
|
Matilda Wahlund |
Messenger |
Dramatic soprano |
|
x |
|
Karin Fjellander |
Pope |
Barytone |
|
x |
|
Samuel Jarreick |
Building Master |
Tenor |
|
x |
|
Kaj Hagstrand |
Female servant 1 |
Sopran |
|
x |
|
Linnea Vikström |
Female servant 2 |
Mezzo |
|
x |
|
Matilda Wahlund |
Male servant 1 |
Baryton |
|
x |
|
Samuel Jarrick |
Male servant 2 |
Bass |
|
x |
|
Mikael Schmidberger |
Lead Succubi |
Mezzo |
|
x |
|
Matilda Wahlund |
Woman/Congress |
Mezzo |
|
|
x |
Matilda Wahlund |
Congress woman 2 |
Sopran |
|
|
x |
Linnea Vikström |
Antichrist soldier |
Barytone |
|
|
x |
Samuel Jarrick |
Demon |
Bass |
|
|
x |
Mikael Schmidberger |
Angel |
Dramatic soprano |
|
|
x |
Karin Fjellander |
3 demons |
Baritone |
|
|
x |
Mikael/Samuel/Linus |
Meine Wertung: 83/100
THERION in der aktuellen Besetzung:
Christofer Johnsson – Guitars, Keyboard, Programming
Christian Vidal – Guitars
Björn Nalle Påhlsson – Bass, Guitars
Johan Kullberg – Drums
Thomas Vikström – Vocals (als Antichrist)
Lori Lewis – Vocals (als Helena)
Tracklist:
Act I
01. Turn From Heaven (3:07)
02. Where Will You Go? (2:15)
03. Through Dust, Through Rain (5:01)
04. Signs Are Here (4:21)
05. Never Again (2:20)
06. Bring Her Home (3:59)
07. The Solid Black Beyond (3:47)
08. The Crowning Of Splendour (3:34)
09. Morning Has Broken (6:39)
10. Garden Of Peace (3:25)
11. Our Destiny (2:41)
12. Anthem (4:18)
13. The Palace Ball (5:20)
14. Jewels From Afar (4:22)
15. Hail Ceasar! (5:10)
16. What Is Wrong? (2:07)
17. Nothing But My Name (3:02)
RT: 65:28 Minuten
Act II
01. The Arrival Of Apollonius (5:07)
02. Pledging Loyalty (2:56)
03. Night Reborn (3:57)
04. Dagger Of God (3:32)
05. Temple Of New Jerusalem (4:01)
06. The Lions Roar (3:43)
07. Bringing The Gospel (4:44)
08. Laudate Dominum (5:00)
09. Remaining Silent (2:56)
10. Behold Antichrist (4:40)
11. Cursed By The Fallen (2:00)
12. Resurrection (3:41)
13. To Where I Weep (5:57)
14. Astral Sophia (5:42)
15. Thy Will Be Done (4:37)
RT: 62:55 Minuten
Act III
01. Shoot Them Down! (3:49)
02. Beneath The Starry Skies (4:26)
03. Forgive Me (9:41)
04. The Wasteland Of My Heart (3:24)
05. Burning The Palace (8:22)
06. Prelude To War (0:38)
07. Day Of Wrath (4:13)
08. Rise To War (3:47)
09. Time Has Come / Final Battle (2:56)
10. My Voyage Carries On (3:52)
11. Striking Darkness (2:04)
12. Seeds Of Time (1:38)
13. To Shine Forever (2:06)
14. Theme Of Antichrist (3:31)
RT: 54:27 Minuten
TT: 182:50 Minuten
Anspieltipps: What Is Wrong?; Never Again; Temple Of New Jerusalem; Behold Antichrist; Through Dust, Through Rain; Signs Are Here; Morning Has Broken; Hail Ceasar!
Die THERION Tourdaten findet ihr hier: Klick!
Videos:
Temple Of New Jerusalem:
Night Reborn:
Theme Of Antichrist: