Die Privatermittlerin Holly Gibney ist eine wiederkehrende Figur in Stephen Edwin Kings weitreichendem, literarischen Kosmos. So taucht sie erstmals in der "Mr. Mercedes"- Trilogie auf, welche aus den Werken "Mr. Mercedes", "Finderlohn" und "Mind Control" besteht. Auch in "Der Outsider", "Blutige Nachrichten" und in dem noch ausstehenden Roman "We think not" (welcher für 2024 angedacht ist) taucht Holly Gibney auf. Nun hat der King of Horror einer seiner liebsten Figuren mit "Holly" einen authentischen, komplexen und atmosphärisch dichten Roman gewidmet, der unter gleichem Titel nahezu zeitgleich in den USA, wie auch hierzulande erschienen ist. Und wie es bei Erzählungen von Stephen King eigentlich die Regel darstellt, ist man auch in der Geschichte um Holly sofort drin. Das Kopfkino einmal eingeschaltet, entkommt man der sogartigen Wirkung des neuen King-Romans nur schwerlich. Gerade seine, teils absichtlich banal gehaltenen Beschreibungen des jeweiligen Milieus sind derart fesselnd, dass man wie im Rausch durch seine Seiten fliegt.
17. Oktober 2012. Der 40 Jahre alte Jorge Castro, Lehrkraft am Bell College of Arts and Science, joggt durch den Deerfield Park. Als er ein älteres Ehepaar dabei beobachtet, wie es sich auf dem Parkplatz abmüht, den Rollstuhl des Mannes in einen bereitstehenden Van zu schieben, zögert Jorge nicht lange und eilt zu Hilfe. Doch seine altruistische Haltung wird ihm zum Verhängnis. Schon bald befindet sich der Lehrer in einer misslichen Lage wieder, die es ihm nicht erlaubt aus selbiger ohne fremde Hilfe herauszukommen. Die Situation in der Jorge steckt, kommt ihm reichlich unwirklich vor. Er weiß nichts mit seiner Lage anzufangen. Was hat er getan? Und warum tut man ihm das an? Doch er ist nicht der einzige, der auf die miese Masche von Emily Harris, Professorin für Englische Literatur und ihren Ehemann Rodney Harris, einen Professor an der Fakultät für Biowissenschaften, hereinfällt.
Knapp neun Jahre später, am 23. Juli 2021, erhält die private Ermittlerin Holly Gibney, die gemeinsam mit dem ehemaligen Polizisten Pete Huntley die Ermittlungsagentur "Finders Keepers" leitet, einen Auftrag von Penelope "Penny" Dahl. Penny beauftragt Holly, ihre seit drei Wochen vermisste Tochter Bonnie Rae Dahl zu finden. Die 55-jährige Holly Gibney nimmt den Auftrag an, obwohl ihre Mutter nur ein paar Tage zuvor an Corona gestorben ist. Sie recherchiert in der Nähe des Ortes, an dem man Bonnie das letzte Mal gesehen hat, befragt ein paar jugendliche Skater, sowie Bonnies Arbeitskolleginnen, grübelt ausgiebig, ja regelrecht verbissen über die bisherigen Erkenntnisse nach, spannt ihre Mitarbeiter Jerome und Barbara Robinson, sowie den an Corona erkrankten Pete Huntley ein und erkundigt sich bei der örtlichen Polizei. Während ihrer Ermittlungen registriert Holly gewisse Überschneidungen bei den Vermisstenfällen. Dabei stößt sie auf die Spur eines Wahnsinnigen mit dem Spitznamen "Mr. Meat", der seinen Opfern ein grausames Opfer abverlangt.
"Holly" entwickelt im Laufe der Geschichte verschiedene Handlungsstränge, die Stephen King aus den jeweiligen Perspektiven seiner Protagonisten verfasst. Dabei führt der in Portland, Maine geborene und mittlerweile 76-jährige Meister der Boshaftigkeiten, innerhalb seines 640 Seiten umfassenden Storyboards, einen üppigen Personenkreis ein, den er jedoch ausreichend beschreibt und vorstellt. Der US-amerikanische Autor schafft es einmal mehr, eine außergewöhnlich lebendige, anschauliche und über alle Maßen spannende Story zusammenzustellen und seinen Plot durch geschicktes Story-Placement phänomenal auszugestalten. Die beeindruckende Komplexität der einzelnen Charaktere, sowie die mitreißende Vitalität seines ausladenden, intelligenten und investigativen Thrillers, packen den Leser von der ersten Sekunde an und tragen ihn mitten hinein in das Umfeld diverser ungeklärter Vermisstenfälle. Stephen King kreiert ein Lokalkolorit, in dem die erzeugten Bilder lebendig und die Gegebenheiten der Jahreszeiten spürbar werden. Der Autor geht dabei sorgfältig und auf empathische Weise auf die Sorgen, Probleme und Nöte seiner Protagonisten, im Speziellen auf die ausgeprägten Neurosen Hollys ein, in deren Kopf immer wieder Phasen und Personen aus ihrer Vergangenheit herumspuken. Dabei wirft Stephen King seinen Lesern einen spannenden Happen nach dem anderen hin, um sich im Anschluss daran, auf ganz subtile Weise an das eigentliche Thema heranzupirschen. Das wirft natürlich auch in "Holly" gewisse Längen auf, wie seit Jahren schon von vielen Kritiken bemängelt. Ich für meinen Teil meine jedoch, dass der Ausnahmeschriftsteller Stephen King diese zumeist mit seinen genialen Schreibkünsten, seinen treffsicheren Metaphern und seiner ausgeklügelten Wortwahl zu kompensieren weiß. Rein nach dem Motto: "Der Weg ist das Ziel" leitet der Bestsellerautor seine Leserschaft durch sämtliche Höhen und Tiefen seiner Werke und bindet selbige dadurch auf einmalige Weise an die kleinen Schwächen und Unzulänglichkeiten seiner Charaktere.
(Janko)
Brutalität/Gewalt: 32/100
Spannung: 79/100
Action: 76/100
Unterhaltung: 83/100
Anspruch: 53/100
Atmosphäre: 78/100
Emotion: 75/100
Humor: 08/100
Sex/Obszönität: 07/100
LACK OF LIES - Wertung: 82/100
Stephen King - Holly
Heyne Verlag
Horror Thriller
ISBN: 978-3-453-27433-4
640 Seiten
Hardcover
Originaltitel: Holly (2023)
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernhard Kleinschmidt
Erscheinungstermin: 20.09.2023
EUR 28,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
Weitere Formate:
ISBN eBook (epub): 978-3-641-30705-9
Erscheinungstermin: 20.09.2023
EUR 19,99 Euro [DE] inkl. MwSt.
ISBN Hörbuch MP3-CD: 978-3-8371-6492-3
Erscheinungstermin: 20.09.2023
EUR 28,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
ISBN Hörbuch Download: 978-3-8371-6493-0
Erscheinungstermin: 20.09.2023
EUR 27,95 Euro [DE] inkl. MwSt.
"Holly" beim Heyne Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Holly/Stephen-King/Heyne/e615656.rhd
Stephen King liest aus "Holly":