Bergisches Hochland, Mexiko, 1950. Als Mr. Taboada besorgniserregende Briefe seiner Nichte Catalina erhält, in denen sie von Entitäten, denkwürdigen Gefühlswelten, gedanklicher Gefangenheit und geistiger, wie körperlicher Bindung an ihr neues Zuhause berichtet, ist er mehr als aufgebracht. Catalina Taboada behauptet zudem, ihr frisch vermählter Ehemann Virgil Doyle wolle sie vergiften und sie verlangt ausdrücklich nach ihrer Nichte Noemí zu ihrer Errettung. Mr. Taboada schickt kurzerhand seine 22-jährige Tochter Noemí Taboada ins heruntergekommene, schroffe und ländliche El Triunfo, einem ehemals blühenden Minenort, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Die mexikanisch-kanadische Schriftstellerin Silvia Moreno-Garcia haucht ihrem mysteriösen und atmosphärischen Genremix "Der mexikanische Fluch", unterschwellig und in leicht verständlicher Sprache, die hochgestochene Versnobtheit der High Society Mexikos, in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein. In ihrem modern interpretierten Gothicmahr erzeugt sie auf 416 Seiten, eine durchaus geheimnisumwobene und nebulöse Aura, die jedoch eine deutlich tiefschürfendere und charismatischere Würdigung verdient hätte.
Als die frivole, temperamentvolle, aber auch jugendlich verträumte Studentin für Theaterwissenschaft Noemí Taboada auf High Place, dem einstmals prunkvollen Sitz der Familie Doyle ankommt, treten die einzelnen Familienmitglieder ihr gegenüber eher reserviert und distanziert auf. Noemís forsche und fordernde Art stößt, bei den ehemaligen Betreibern einer aufgegebenen Silbermine, häufig auf Unverständnis oder gar offen an den Tag gelegte Ablehnung. Ihre fünf Jahre ältere Cousine Catalina wirkt hingegen seltsam verändert, um nicht zu sagen geistig entrückt. Sie tut die Briefe, die sie nachhause geschickt hat, als im Fieberwahn ihrer Tuberkulose-Erkrankung verfassten Unsinn ab. Dennoch sei es Tatsache, dass sie das erstickend klamme, düstere und kalte Haus an diesem seltsamen, trübsinnigen Ort nicht wieder verlassen könne. Niemand scheint Catalina helfen zu können. Auch die vermeintliche Hilfe von außerhalb entpuppt sich als Luftnummer. Alles auf High Place wirkt veraltet, bleich, trostlos, verdorben und in gewisser Weise tot. Da heizen die erschreckenden Geschichten über mysteriöse Epidemien, denkwürdige Todesfälle und einem Fluch, der auf der Familie lasten solle, die Gerüchteküche zusätzlich ein.
Die 1981 im mexikanischen Baja California geborene Autorin, legt gesteigerten Wert auf ein wohl bezeichnetes, buntes Lokalkolorit. Silvia Moreno-Garcia färbt Noemís Umfeld, ihre Reaktionen sowie ihre Gefühlswelt überdeutlich ein und verhilft ihr auf diese Weise, trotz aller Widrigkeiten, zu einer aufgeweckten und blumigen Vitalität. Es ist eine intelligente, beseelte und gefühlvolle Geschichte, die zwar dem Alter Noemís durchaus angemessen ist, mir jedoch etwas zu "mädchenhaft" verspielt rüberkommt.
Noemí lässt sich selbst von verschrobenen, psilocybinen Fieberträumen nicht abhalten, ihrer Nichte Catalina zu helfen und die trügerischen Geheimnisse der altmodischen Familie Doyle und ihres, in die Jahre gekommenen Familiensitzes High Place zu entschlüsseln. Was führt Howard Doyle, der hochbetagte, immer noch rüstige Patriarch der Familie im Schilde? Warum ist Florence, die Nichte von Howard, Noemí gegenüber so abweisend? Was verheimlicht Catalinas Ehemann Virgil, der 35 Jahre alte Sohn von Howard Doyle? Und was hat es mit deren Familiensymbol, dem Ouroboros auf sich, der überall auf High Place zu finden ist? Noemís einziger Verbündeter scheint Francis, der gebrechlich wirkende, 25-jährige Cousin von Virgil Doyle zu sein. Doch ist er tatsächlich derjenige, der er vorgibt zu sein?
Der Roman, der 2020 in der Originalausgabe unter dem Titel "Mexican Gothic" erschien, lässt sich definitiv gut lesen, ergeht sich aber häufig in ausschweifende Gedankengänge und tröpfelt, für meinen Geschmack, doch etwas zu gemächlich vor sich hin. Das Crossover aus Thriller, Mystery, Gothic und Horror versprüht eine durchaus interessante, verworrene und rauschartige Atmosphäre, die sich jedoch in Ermangelung mitreißender Ereignisse, streckenweise als langwierig und ausschweifend herausstellt. Die Erzählung von Señora Moreno-Garcia wirkt ab und an etwas konstruiert und erinnert mich von ihrer Machart her, ein wenig an "Das Jahr der Hexen" von Alexis Henderson. Stellenweise kommt die modern interpretierte, blumig verspielte Schauergeschichte, die als "New-York-Times-BESTSELLER" angepriesen wird, über die Dramaturgie einer Telenovela kaum hinaus.
(Janko)
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Brutalität/Gewalt: 24/100
Spannung: 57/100
Action: 44/100
Unterhaltung: 68/100
Anspruch: 40/100
Atmosphäre: 60/100
Emotion: 44/100
Humor: 05/100
Sex/Obszönität: 11/100
LACK OF LIES - Wertung: 68/100
Silvia Moreno-Garcia - Der mexikanische Fluch
Limes Verlag
Genre Mix
ISBN: 978-3-8090-2747-8
416 Seiten
Hardcover
Originaltitel: Mexican Gothic (2020)
Aus dem amerikanischen Englisch von Frauke Meier
Erscheinungstermin: 26.10.2022
ca. EUR 22,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
Weitere Formate:
ISBN Taschenbuch, Broschur: 978-3-7341-1285-0
Erscheinungstermin: 20.09.2023
EUR 13,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
ISBN eBook (epub): 978-3-641-27922-6
Erscheinungstermin: 26.10.2022
EUR 6,99 Euro [DE] inkl. MwSt.
"Der mexikanische Fluch" beim Limes Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Der-mexikanische-Fluch/Silvia-Moreno-Garcia/Limes/e582663.rhd