LETTERS FROM THE COLONY - Vignette
Was vom Coverartwork, vom Bandnamen, sowie vom Albumtitel her anmutet wie ein nettes 70ies Rock Album, ist in Wirklichkeit ein extremes und brutal drückendes Stahlgewitter. Es handelt sich bei „Vignette“ nämlich um das Debütalbum der zentralschwedischen Progressive Math Core/Mind Core Freaks LETTERS FROM THE COLONY. Das Quintett aus Borlänge, am Ufer des Dalecarlia Flusses in den tiefen Wäldern Zentralschwedens, besteht bereits seit 2010. Nach zwei selbstveröffentlichten EPs „LFTC“ (2011) und „GALAX“ (2014) machte man sich zwischen Januar und April 2016 daran, neues Material für das erste Studioalbum aufzunehmen. Nachdem die Sänger Max Sundqvist und der darauffolgende Dave Connaughton die Band zuvor aus persönlichen und familiären Gründen wieder verließen, übernahm Produzent Alexander Backlund, der mit dem Material der Band bereits bestens vertraut war, für zwei Shows das Mikro. Trotz dem, dass die Band in dieser Konstellation nie zuvor geprobt, geschweige denn gespielt hatte, spielte man zwei fantastische Konzerte und man entschied sich dazu, Backlund als vollwertiges Mitglied zu rekrutieren. Als man dann Ende April 2016 die Vorproduktion zu dem in den Händen hielt, was einmal das Debüt „Vignette“ werden sollte, übergab man selbige zum Mastern an Jens Bogren (DIMMU BORGIR, OPETH, PARADISE LOST) und seine Fascination Street Studios in Örebro, welcher einen glasklaren Feinschliff ablieferte. Im Anschluss daran begann für LETTERS FROM THE COLONY die Suche nach einem geeigneten Label für den Weirdo Extrem Metal. Mit Nuclear Blast hatte man sogleich ein begeisterungsfähiges Label am Haken, welches für die Band sicherlich nicht die schlechteste Wahl war.
Die zentralschwedischen Progressive Extreme Metal Freaks präsentieren auf "Vignette" insgesamt neun Tracks, welche es auf eine Gesamtrotationszeit von über 55 Minuten schaffen. Die technische Komplexität der einzelnen Songs wird immer wieder durch ausgiebige Space Core/Shoegaze Passagen experimenteller Art ausgehebelt und erhält nicht zuletzt dadurch eine sonderbare Architektur. Inspirieren ließ man sich unter anderem von MESHUGGAH, OPETH, GOJIRA, BETWEEN THE BURIED AND ME und PINK FLOYD, wobei gerade erstgenannte einen starken Einfluss auf den LFTC Sound nahmen. Der beeindruckend progressive Future Industrial Math Core/Mind Core des Erstschlags „Vignette“ weist auch sehr unterschiedliche Lauflängen der einzelnen Tracks von 1:38 bis 12:12 auf. Die musikalischen Landschaften machen sich maschinenhafte Spielarten mit abgehakten oder Haken schlagenden Melodien zu Nutze, die nicht selten als Gegenpart mit Disharmonien untermalt oder gar von selbigen überfahren werden. Mit Jonas Sköld hat man einen Poly- und Crossrhythmik beherrschenden Felldrescher am Schlagwerk, der die gesamte Chose stets voranzuschieben weiß. Das futuristische, stakkatohaft hart angerissene Gitarrenriffing der beiden Streitaxtschwinger Sebastian Svalland und Johan Jönsegård ist mit einer übelst krass ausgelebten Dynamik behaftet. Obendrauf Alexander Backlunds‘ gutturaler Kreischgesang der sich bis zu extrem tierfergelegtem kehligem Lepra-Core Gebrummel erstreckt. Das ist richtig schön verschrubbter Mathcore mit einem enormen In-Ya-Face-Punch. Diese starken Riffs, das fiese Geballer und die durchsetzungsstarken Vocalperformances klatschen dem Hörer wie ein nasses Handtuch ins Gesicht. Dann folgen seichte, rockige, bis leicht ins jazzige driftende Spacegitarrenparts, denen Nu Metal und Deathcore Gesangsdarbietungen zwischengeballert werden. Abwechslungsreicher geht’s kaum mehr.
Den schwedischen Briefeschreibern aus der Kolonie ist mit dem Kataklysmus „Vignette“, der sich nur allzu gerne über jegliche Konventionen hinwegsetzt, somit ein durchaus interessanter Stilbruch gelungen. Eine Art MESHUGGAH meets STRAPPING YOUNG LAD meets THE HAUNTED meets SikTh. Das technisch hochwertige, extrem wandlungsfähige Interagieren der gesamten Rhythmusfraktion macht diesen Output höchst interessant. Eine Zeitlang passiert hier richtig viel in der Musik, dann wird ein kleiner Zwischenpart zum Verschnaufen eingelegt und anschließend wieder wie wild drauflos geballert. Spacegitarren, zu Dissonanzen drängendes Fellgeschreddere und wilde Ausbrüche verhökern LFTC als Dutzendware. Das scheinbar heillose Durcheinander auf „Vignette“ wird zwischendrin immer wieder entwirrt. Das fette Drumming wird rein von der musikalischen Struktur her gesehen oftmals in den Vordergrund gehoben oder zumindest tonangebend und richtungsweisend eingesetzt. Es gibt also zusätzlich immer wieder, das Mathcore, bzw. Extrem Metal Herz ansprechende rein instrumentell bestückte Passagen. Manche Momente können dem Hörer allerdings etwas langatmig erscheinen, da zum einen die Grenzen der Gegensätze ausgelotet werden, zum anderen weil das Konzept zum Teil noch etwas kopflos rüberkommt. Aber was jetzt noch nicht ist, kann ja noch werden. Die Schweden stehen schließlich noch ganz am Anfang ihrer verheißungsvollen Karriere. Allerdings ist das mal wieder Meckern auf höchstem Niveau, denn dass die Musiker ihre Instrumente beherrschen, interessante, bisweilen ausgeklügelte Musik kreieren können, haben Sie mit ihrem Erstschlag "Vignette" auf beeindruckende Weise unter Beweis gestellt.
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Meine Wertung: 85/100
LETTERS FROM THE COLONY in der aktuellen Besetzung:
Alexander Backlund – Vocals
Sebastian Svalland – Guitar
Johan Jönsegård – Guitar
Emil Östberg – Bass
Jonas Sköld – Drums
Tracklist:
01. Galax (8:20)
02. Erasing Contrast (4:49)
03. The Final Warning (5:57)
04. This Creature Will Haunt Us Forever (1:38)
05. Cataclysm (4:59)
06. Terminus (6:53)
07. Glass Palaces (6:37)
08. Sunwise (4:14)
09. Vignette (12:12)
TT: 55:38 Minuten
Anspieltipps: Terminus; Sunwise; Erasing Contrast; The Final Warning; Glass Palaces
Erasing Contrast:
Terminus:
Galax: