JOHN NIVEN - Alte Freunde
- Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr -
Alan Grainger, seines Zeichens Gourmetkritiker und Bestsellerautor ist glücklich verheiratet, hat drei Kinder und geht straight auf die 50 zu. Er ist nach einem unzumutbaren Restaurantbesuch auf den Straßen Londons unterwegs und hängt seinen diesbezüglichen Gedanken nach. Als er gerade etwas in sein Notizbuch schreiben will, ruft ein auf dem Bürgersteig sitzender Obdachloser seinen Namen. Einigermaßen verwirrt, aber nicht minder neugierig, geht Alan auf den Penner zu. In einem kurzen Gespräch mit dem zerlumpt aussehenden Mann stellt sich heraus, dass es sich bei dem Obdachlosen mit den braunen Stumpen in der Kauleiste, um seinen alten Kumpel Craig Carmichael handelt. Verwundert darüber, wie es mit seinem ehemaligen Freund so weit bergab gehen konnte, fragt Alan, ob sie was trinken gehen sollen. Als Craig einwilligt, verändert sich Alan Graingers ganzes bisheriges Leben.
Craig Carmichael, der früher in der sehr erfolgreichen Band THE RAKES gespielt hatte, schmiss sein Studium, als die Band gerade so richtig durchstartete und durch die Decke ging. Ihn riss der plötzliche Erfolg jedoch ins Bodenlose. Drogen, Entzug und endgültiger Absturz! Und so findet er sich unverhofft auf den Straßen Londons wieder. Kein Dach über dem Kopf, bettelnd, am Ende. Alan Grainger hingegen hat es geschafft. Er bewohnt gemeinsam mit seiner Frau und den drei Kindern ein großes Anwesen in Marham, Buckinghamshire, keine halbe Stunde von London entfernt. Probleme finanzieller Art haben die Graingers nicht und überhaupt scheint ihr Leben ziemlich perfekt. Alan und Craig gehen ins Groucho, nehmen ein paar Drinks und lassen gedanklich alte Zeiten wieder aufleben.
Nachdem sie sich verabschiedet haben und Alan ein Taxi zum Bahnhof nimmt, überlegt er es sich kurzerhand anders und nimmt Craig mit zu sich nach Hause. Alans Frau Katie ist zwar alles andere als begeistert von dem Umstand Craig für ein paar Tage zu beherbergen, stellt sich dem Wunsch ihres Mannes aber nicht entgegen. Es ist kalt im Umland und so einigen sich Katie und Alan darauf, dass Craig noch übers Wochenende und später auch noch darüber hinaus bleiben kann.
Der schottische Autor, Drehbuchautor und ehemalige A&R-Manager der Plattenfirma PolyGram John Niven pflegt einen flüssigen, teils ausladenden Schreibstil. Auch in "Alte Freunde", der achte
Roman von ihm, der ins Deutsche übersetzt worden ist, skizziert er seine Protagonisten aufs Genaueste und plaudert dabei locker flockig aus dem Nähkästchen. Nivens mehr oder minder gehässigen,
schwarzhumorigen Geschichten sind lebensnah gehalten und häufig mit Konversationen gefüllt, die auch die Gedankengänge und Monologe seiner Protagonisten einschließen. Der, in Ayrshire im
Südwesten Schottlands geborene Schriftsteller, würzt schon mal belangloses mit herrlich beklopptem, dass einem beinahe die Tränen in den Augen stehen.
Auch die immer mal wieder zwischengeschobenen Vergleiche, die John Niven anstellt, sind aberwitzig. Auf 352 Seiten erzählt er munter aus dem Leben von Katie, Alan und Craig und drückt dem Leser dabei schon mal ein seitenlanges Fäkalgespräch auf, das sich mitten in die Familienfeier von Katies Eltern ergießt. All das trägt zu einer intensiven Charakterzeichnung bei. Der Autor, der unter anderem als Journalist für "FHM", "Q", "Word", "Socialism" und "GolfPunk" gearbeitet hatte, selbst Musiker war und in den Achtzigern Gitarre bei der Indieband THE WISHING STONES spielte, baut immer wieder zum richtigen Zeitpunkt irrwitzige Ideen in seine leicht skurrilen und makaberen Geschichten ein. John Niven ist dabei so herrlich scheiße, bekloppt und politisch unkorrekt!
Als Alan versucht Craig aus reinem Altruismus wieder auf die Beine zu helfen, kippt die anfängliche prima Stimmung. Craig macht sich fortwährend Notizen, durchforstet das Internet, grübelt darüber und heckt definitiv etwas aus, bis Alans Leben allmählich aus den Fugen gerät. Es wird quasi nach und nach demontiert.
Die Story steigert sich ganz langsam und gemächlich, zu einem überbrodelnden Wahn und einer platzenden Bombe die aus Alans Leben ein Sodom und Gomorrha der Neuzeit macht. Alans Leben verläuft mit einem mal diagonal konträr, was ihn allmählich zu einem ausgewachsenen Alkoholiker avancieren lässt. Die Frage nach dem "Warum" wird vom Autor zwar plausibel erläutert, doch nimmt sich die Auflösung längst nicht mehr so perfide aus, wie der Aufbau des eigentlichen Storyboards. Niven, der heute in Buckinghamshire, England lebt, hegt einen flüssigen Schreibstil, der die eigentlich langatmige Geschichte gar nicht so langatmig erscheinen lässt. Dennoch ist sie leider kein Vergleich zu den herrlich verschrobenen älteren Damen aus seinem vorherigen Roman "Old School". "Alte Freunde" ist nicht Thriller, nicht Krimi und schon gar nicht Horror, sondern eher eine, aus dem Leben gegriffene Erzählung und ein Buch, dass ein Stück weit nachdenklich macht. Gerade heute in einer Welt der Zurückgezogenheit, des gegenseitigen Misstrauens und der allgemeinen Herzenskälte, hervorgerufen durch krankhaften Egoismus.
Brutalität: 36
Spannung: 75
Action: 59
Unterhaltung: 78
Anspruch: 62
Humor: 80
LACK OF LIES - Wertung: 78 /100
Link zur Buchseite des Verlags: https://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Alte-Freunde/John-Niven/Heyne-Hardcore/e550491.rhd
John Niven
Alte Freunde
Aus dem Englischen von Stephan Glietsch
Originaltitel: No Good Deeds
Originalverlag: Heineman
Aus dem Englischen von Stephan Glietsch
Taschenbuch, Klappenbroschur, 352 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-67728-9
€ 10,99 [D] | € 11,30 [A] | CHF 16,90* (* empf. VK-Preis)
Verlag: Heyne Hardcore