Colorado, in den frühen 60ern, wenige Tage vor der Kubakrise. Als der Saisonarbeiter Aaron Holland Broussard, samt seiner beiden Kollegen Spud Caudill und Cotton Williams, vor einem Motel in Trinidad von vier Männern derbe verprügelt wird, landen sie unversehens im Gefängnis. Erst als ihr Chef Mr. Jude Lowry auftaucht, seines Zeichens Besitzer einer Farm mit Milchviehhaltung in Trinidad, werden die drei Saisonkräfte aus der Haft entlassen. Nicht ohne guten Rat von Detective Wade Benbow, die Sache besser auf sich beruhen zu lassen. Nach den brutalen Angreifern hatte man, wie es scheint, ohnehin nicht gefahndet. Aaron erhält lediglich ein gefaltetes Stück Papier von Detective Benbow, mit der Notiz "Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie es zu tun haben. Rufen Sie mich an." und einer Telefonnummer darauf, welches die Kellnerin des Motel-Restaurants Jo Anne McDuffy für ihn hinterlassen hat. Aaron trifft sich mit der Kellnerin und Kunststudentin Jo Anne und verliebt sich in sie. Von ihr erfährt Aaron den Namen eines der beteiligten Schläger. Darrel Vickers und dessen jähzorniger Vater Rueben, Teil einer einflussreichen Familie aus der Ölbranche, besuchen gleich am nächsten Tag die Farm von Mr. Lowry, um erneut mächtig Stunk zu machen. Die Botschaft der beiden: Niemand legt sich mit den Vickers an. Mit Aaron Holland Broussard allerdings auch nicht. Und so schaukeln sich Machtspielchen, Drohungen und Gewalt zu einem hochexplosiven Gemisch hoch.
Der 1936 in Houston, Texas geborene James Lee Burke ist einer dieser Schriftsteller, denen man in der Regel blind vertrauen kann. Deren Schreibstil einem unmittelbar ans Herz wächst und sogleich in die Geschichte hineingleiten lässt, als wäre man ein Teil von ihr. Es sind seine niveauvollen Sozial-Dramen im Thriller- und Krimi-Gewand, die wiederkehrenden Gewaltorgien, die erschreckenden Martyrien, welche den Leser verstören und die den Zeitgeist der jeweiligen Epoche perfekt einfangen. Burke schafft es, nicht zuletzt aufgrund seiner vergleichenden Rhetorik, die landschaftlichen Kulissen innerhalb seiner literarischen Trips mit sprudelndem Leben zu füllen. Er legt viel Wert auf emotionale Bindungen, eine gewisse Cozyness und eine ordentliche Portion knisternder Spannung. So spürt man in seinem komplexen und atmosphärisch dichten Werk "Das verlorene Paradies" die jeweilige Umgebungstemperatur, das hitzige Gemüt der Männer in einem gewalttätigen Landstrich im Süden des Colorado-Plateaus und die lauernde Gefahr, in der Aaron Holland Broussard und seine Freundin Jo Anne permanent schweben.
Aaron ist ein seltsamer, aber liebenswerter Zeitgenosse, doch trotz seiner überwiegend ruhigen Art auch ein kleiner Hitzkopf, der es schnell und gerne mal übertreibt. So handeln sich die schlagfertige und toughe Jo Anne und der Wanderarbeiter immer mehr Ärger mit den Vickers, Jo Annes zwielichtigem Kunstdozenten Henry Devos, samt seiner Clique vergeblich sinnsuchender, drogenverseuchter und esoterischer Beatniks, sowie Detective Wade Benbow ein. Letztgenannter ist gleichzeitig mit einer brutalen Vergewaltigungs- und Mordserie an Frauen in einem weitläufigen Umfeld beschäftigt, in die Broussard wider Willen immer tiefer hineingezogen wird.
Auf knapp 320 Seiten entwirft der, heute mit Ehefrau Pearl auf einer Ranch in Missoula, Montana lebende Schriftsteller James Lee Burke, eine zugegebenermaßen etwas sonderbare, gleichwohl niveau- und stilvolle Geschichte aus Gewalt, Rache, Vergewaltigung und Mord, die in einem übernatürlichen Gewaltexzess mündet. Diese mysteriöse Ader, die sich aufgrund Aaron Holland Broussards Posttraumatische Belastungsstörung, gerade zum Schluss hin in Blackouts und surrealen Visionen äußert, ist definitiv gewöhnungsbedürftig. Einen derart mystischen Hintergrund bin ich, in dieser ausgeprägten Form, von James Lee Burkes "Holland-Universum" bislang nicht gewohnt. Der Rest der Familienbande wird lediglich peripher angerissen. "Das verlorene Paradies", welches phasenweise an Cormac McCarthy erinnert und im amerikanischen Original bereits im Jahre 2021 unter dem Titel "Another Kind of Eden" erschien, bietet ansonsten Kopfkino par excellence. Wer allerdings den letzten Satz des Klappentextes entworfen hat, hat die Geschichte um den Zugvogel und Nachwuchsautor Aaron Holland Broussard offensichtlich gar nicht gelesen.
(Janko)
https://www.jamesleeburke.com/
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Brutalität/Gewalt: 79/100
Spannung: 82/100
Action: 78/100
Unterhaltung: 87/100
Anspruch: 38/100
Atmosphäre: 79/100
Emotion: 49/100
Humor: 13/100
Sex/Obszönität: 18/100
LACK OF LIES - Wertung: 87/100
LACK OF LIES - Altersempfehlung: ab 16 Jahren (aufgrund der relativ expliziten Gewaltdarstellungen und des allgemeinen Verständnisses)
James Lee Burke - Das verlorene Paradies
Heyne Verlag
Thriller
ISBN: 978-3-453-42846-1
320 Seiten
Paperback , Klappenbroschur
Originaltitel: Another Kind of Eden (2021)
Aus dem amerikanischen Englisch von Daniel Müller
Erscheinungstermin: 14.02.2024
EUR 18,00 Euro [DE] inkl. MwSt.
Weitere Formate:
ISBN eBook (epub): 978-3-641-28960-7
Erscheinungstermin: 14.02.2024
EUR 12,99 Euro [DE] inkl. MwSt.
"Das verlorene Paradies" beim Heyne Verlag: https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Das-verlorene-Paradies/James-Lee-Burke/Heyne/e617349.rhd