Giles Blunt - Until The Night
Der sechste John Cardinal/Lise Delorme Fall, der im Jahre 2013 erschien, ist leider bis dato noch nicht ins Deutsche übersetzt worden und somit derzeit nur im englischen Original erhältlich. Die, für gerade mal 300 Seiten recht komplexe Story rund um die beiden sympathischen, kanadischen Detectives, spielt erneut im fiktiven Ort Algonquin Bay/Kanada und knüpft zeitlich an die Vorgängerromane an. Personen werden genannt, die man schon aus den vorangegangenen John Cardinal Romanen kennt, welche jedoch alle als Standalones zu betrachten sind und keinerlei einzuhaltender Reihenfolge bedürfen. „Until The Night“ macht dabei keine Ausnahme. Es werden dieses Mal allerdings zwei räumlich und zeitlich voneinander getrennte Geschichten erzählt, die sich erst zum Ende hin allmählich miteinander verknüpfen. Handlung 1 dreht sich um ein Forscherteam auf einer 20 Kilometer langen Insel aus Eis, die im Uhrzeigesinn um den Nordpol kreist. Handlung 2 um einen, offensichtlich aus Eifersucht verübten Mord auf einem Parkplatz vor einem Hotel in Algonquin Bay. Bereits auf den ersten Seiten wird man in die Geschichte um diesen Mord und das damit unmittelbar in Verbindung stehende Verschwinden einer Frau hineingezogen. Wie das ganze letztlich zusammenhängt lässt sich anfangs beim besten Willen nicht erahnen. Der kanadische Thriller Autor Giles Blunt erschafft auch dieses Mal wieder seine ganz eigentümliche, feinsinnig Atmosphäre, die Algonquin Bay und seine Protagonisten so leidenschaftlich und lebensecht erzählen. Und auch wenn die Romane um das Ermittlerteam Cardinal/Delorme zumeist im langen Winter des immerkalten Kanada spielen, strahlen sie doch eine gemütliche Wärme aus. „Until The Night“ ist erneut ein investigativer Roman, mit ab und an eingestreutem schwarzem Humor, der den Fall trotz seines ernsten Hintergrundes zwischendurch immer wieder ein wenig aufzulockern vermag. Es herrscht allgemein viel Konversation, was den Plot zusätzlich sehr lebendig gestaltet. Blunt erklärt und beschreibt die Gegebenheiten in kurzen, prägnanten Sätzen, so dass man immer eine recht gute Auffassung davon bekommt, wo und in welcher Situation sich seine Protagonisten zurzeit befinden. Die einzelnen Charaktere sind sehr menschlich gezeichnet und dabei keinesfalls übertrieben. Auch wenn Restaurant-, Nachtclub- und Barbesitzer Leonard Priest die harte, vulgäre Sprache bevorzugt, macht ihn das nicht zwangsläufig unsympathisch. Unsympathisch hingegen ist der „Neue“ am Police Departement Detective Constable Vernon Loach gezeichnet, der nicht nur den Fall leitet, sondern Lise Delorme und John Cardinal, irgendwann auch dem Detective Sergeant Chouinard (der zu Anfang noch auf ihn setzt) mächtig auf den Zeiger geht. Jeder ermittelt in eine andere Richtung und die klare Linie bei der Polizei von Algonquin Bay wird allmählich abgängig. Auf der anderen Seite ist da das Forscherteam. Die Abgeschiedenheit in der Arktis, die teils unerträgliche Kälte und die Liebesaffäre eines Forschers und einer Forscherin, welche wiederum mit einem anderen, anwesenden Forscher verheiratet ist, machen das gemeinsame Miteinander nicht gerade erträglich und dann geraten sie allesamt in eine riesige Katastrophe. Man kann die Kälte und die teils missliche Lage der Forscher in der Arktis regelrecht spüren. Giles Blunt schafft es nicht zuletzt mit seinen beiden sympathischen Ermittlern immer wieder wie aus dem Nichts hoch interessante Fälle zu kreieren. Lise Delorme geht dieses Mal sogar soweit, dass sie leicht bekleidet in einem Swingerclub ermittelt, sich dabei reichlich blöd vorkommt und extrem unwohl fühlt. Es ist nun mal nicht ihr Wesen. Oder ist es einfach nur der gewisse Thrill, der sie dort hin gelockt hat? Von männlicher Seite, ob bei der Polizei, durch Gefängnisinsassen, von Anwälten etc. drängen immer wieder frauenfeindliche Sprüche an die Oberfläche, mit denen sich hauptsächlich Lise Delorme Delorme konfrontiert sieht. Sie stellt sich aber tapfer an und gibt schon mal gekonnt kontra, in diesem von Männern dominierten Fall. Nach und nach entdecken die Ermittler immer mehr Leichen und die Ermittlungen, sowie die Befragungen von Zeugen oder der potentiellen Tätern nehmen immer bizarrere Formen an. Die Auflösung ist in sich rund und schlüssig bis auf eine Kleinigkeit, aber ich will hier nicht zu viel verraten, außer dass sich auch der sechste, fein durchdachte Algonquin Bay Fall mal wieder so richtig lohnt. "Until The Night" bietet 1A Unterhaltung!
Meine Wertung: 89/100