FRANK SCHÄTZING - Die Tyrannei des Schmetterlings
- Wissenschafts- und SciFi Thriller der Extraklasse; weitreichend, komplex aber leider auch äußerst abstrakt -
Frank Schätzing, seines Zeichens Deutschlands wohl investigativster Thriller- und SciFi Autor, hat sich nach dem Welterfolg "Breaking News" aus dem Jahre 2014 dieses Mal wieder der Wissenschaft und dem SciFi zugewandt. Kaum ein Schriftsteller schafft es, eine derart bildhafte und empathische Sprache zu entwerfen und diese in eine schillernd metaphorische, wie literarisch reizvolle Sprache einzubetten, um der potentiellen Leserschaft mit Leichtigkeit ein Kopfkino der Sonderklasse zu bescheren. Schnell ist man drin in der weitreichenden und komplexen Story, die im ersten, aber nicht für den Rest des Storyboards repräsentativen Kapitel "Feinde", von Söldnern im Süden Afrikas handelt. Sie wollen einen Warlord infiltrieren. Sprengstoff zünden, Brunnen vergiften und Desinformationen streuen. Doch was die jungen Männer und ihren Anführer Agok während ihres lautlosen Angriffs erwartet, hätten sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht auszumalen getraut. Dieses erste Kapitel dient jedoch lediglich als einleitender Appetizer und hat mir der eigentlichen Story wenig zu tun.
Der zweite Teil und eigentliche Erzählstrang handelt vom ghanaisch-amerikanischen Undersherriff Luther Opoku und seinem Deputy Ruth Underwood, die die Leiche einer jungen Frau an einem Steilhang in der Sierra Nevada in Kalifornien untersuchen. Herauszufinden ob es ein Unfall war, der die junge Frau vierzig Meter weiter unten in die Äste eines Baumes trieb oder ob sie vielleicht sogar herunter gestoßen wurde, bleibt Aufgabe der beiden schlecht ausgerüsteten Staatsbediensteten und ihrer Kollegen. Die Tote war Mitarbeiterin des Silicon Valey Big Players Nordvisk Incorporated. Einer Firma, die sich mit künstlicher Intelligenz, sowie maschinellem Lernen befasst und eine Außenstation in Flugplatzgröße in Sierras' weitläufigem Hinterland betreibt. Kurz vor ihrem Sturz in den Tod hatte sie einen Unfall mit einem schwer gepanzerten Firmenfahrzeug, dass unweit des Tatorts aufgefunden wird. Als ein USB IDKey im Wagen der Toten gefunden wird, gerät der Stein allmählich ins Rollen. Auf dem IDKey befinden sich nämlich Informationen, die einige Mitarbeiter von Nordvisk Incorporated in arge Erklärungsnöte bringen dürften. Nachdem sich Undersherriff Opoku mit CEO Hugo van Dyke auf der Außenstation von Nordvisk Incorporated zu einem Gespräch trifft und sich bei dieser Gelegenheit Mitarbeiter und Gelände zeigen lässt, geschehen plötzlich merkwürdige, kaum zu begreifende Dinge. Das Geheimnis, das der Hightech-Konzern tief im Berg seiner Forschungsanlage verbirgt ist so ungeheuerlich, dass es jegliche Vorstellungskraft übertrifft. Nichts ist, wie es scheint, was Luther Opoku allmählich an seinem ansonsten doch stets so scharfen Verstand zweifeln lässt. Aber so sehr Luther die Fakten auch hin und her wendet, er kommt auf keinen Nenner was hier vor seinen eigenen Augen eigentlich gespielt wird. Ihm wird sprichwörtlich der Boden unter den Füßen weggerissen. Die Realität, seine Erinnerung, alles ist plötzlich anders. Was ist nur mit ihm geschehen und was muss noch alles mit ihm geschehen, da er sich selbst bald nicht mehr zu kennen glaubt? Auch der Leser wird immer wieder in die Irre geführt. Nichts ist wirklich. Nichts ist wie es scheint. Aber alles scheint möglich und doch unmöglich zugleich. Dieses Verwirrspiel, das auch den Leser ratlos zurück lässt, hat der Autor in der ersten Hälfte hervorragend inszeniert und derart mit Spannung aufgeblasen, dass es wahrlich schwer fällt, dass Buch bis hierhin auch nur eine Sekunde aus der Hand zu legen. Ich muss aber auch zugeben, dass sich die ganzen Überlegungen, die aus der neuen Lebenssituation Luthers entstehen, schon arg grotesk ausnehmen. Man versetze sich nur einmal in seine Situation. Das muss wahrlich die Hölle sein.
Geschickt hält der, am 28. Mai 1957 in Köln geborene Autor Frank Schätzing die Spannung hoch, indem er den Leser immer wieder mit Andeutungen und Fakten anfüttert. Alles bleibt diffus. Der Plot des intelligenten, 736 Seiten starken SciFi Thrillers lässt durchaus Parallelen zu H.G. Wells erkennen, ist aber schon arg bizarr und abstrakt ausgestaltet und wirkt dadurch gerade in der zweiten Hälfte oftmals arg verwirrend. Es geht unter anderem um Quantenmechanik von deren grundlegenden Strukturen man schon mal etwas gehört haben sollte, die man aber fast noch zur Allgemeinbildung zählen kann. "Die Tyrannei des Schmetterlings" nötigt seinen Lesern somit zwar keine tiefergehenden Kenntnisse in mikrophysikalischen Bereichen ab, dennoch wird es immer schwieriger Schätzings' Gedankengängen zu folgen, je tiefer man in den Roman einsteigt. Auch ist die Story, wie man es vom Autor her gewohnt ist, stets fein ausgeschmückt, im Gegenzug aber auch rasant, spannend und actionreich verfasst. Die Charakterisierung seiner Protagonisten, die Beschreibungen des jeweiligen Lokalkolorits, sowie die jeweiligen Konversationen sind Schätzing-like lebendig gehalten. Es ist aber auch nichts neues, dass Schätzings' Personal immer recht umfangreich gestaltet ist; von daher wäre eine tiefergehende, differenziertere Charakterzeichnung natürlich sinnstiftend gewesen.
Der Erzählung von Herrn Schätzing kann man, aufgrund ihrer teils surrealen Überlegungen nicht immer gleich auf Anhieb folgen. Dem ein oder anderen mögen diese Überlegungen vielleicht etwas zu verworren vorkommen, dem wissenschaftlich und vor allem an künstlicher Intelligenz, neuronale Netze, Quantenmechanik, Quantenphysik, Genetik, Epigenetik, Astrophysik, Computertechnik, Robotik Zeitmaschinen, Parallelwelten, Zeitinterferenzen etc. interessierten Leser kann es aber interessante, vielleicht gar neue Denkanstöße versetzen. Es ist schon faszinierend, was der Mensch und seine Computertechnik alles zu erschaffen im Stande ist, aber diese Technologien bergen immer ein gewisses Risiko und können in den falschen Händen natürlich auch missbräuchlich eingesetzt werden. Wird uns unsere Technologie in Zukunft nun also das Leben erleichtern oder den wahren Horror auf Erden bescheren?
„Die Tyrannei des Schmetterlings“ ist ein intelligentes, aber zum Teil auch nicht immer ganz leicht zu verstehendes Buch. Ich für meinen Teil mag ja diese Sparten der Wissenschaft. Von daher kann ich die vielen negativen Meinungen zu "Die Tyrannei des Schmetterlings" nicht so ganz nachvollziehen. Mit Sicherheit geht vielen Lesern aber auch die Empathie ab, mit denen Schätzing auf einmalige Weise seine Protagonisten in "Der Schwarm" gezeichnet hat. Das ist ihm seit diesem großen Wurf leider weder mit "Limit", noch mit "Breaking News" und leider auch nicht mit „Die Tyrannei des Schmetterlings“ gelungen. Aber ich muss schon zugeben, dass das gesamte Thema im letzten Drittel des SciFi Thrillers leider zu sehr ins Theoretische abrutscht und dadurch schon etwas langatmig und trocken wird. Für die potentielle Leserschaft wird es schwerer und schwerer, sich in Schätzings Gedankenwelt zurechtzufinden. Von Seite zu Seite wird es immer schwieriger in die wirren Beschreibungen des Lokalkolorits, der Begebenheiten, sowie der Handelnden abzutauchen, was den Lesefluss an mancher Stelle doch arg ins Stocken bringt. Es fällt einem unheimlich schwer, das Geschriebene in geistige Bilder zu fassen. Schätzing verlangt seinen Lesern in der zweiten Hälfte des Romans schon eine ganze Menge ab. Das hat die brillante erste Hälfte der Story in der Form eigentlich nicht verdient. Aber die Idee ist und bleibt schier genial und eröffnet dem Erzähler eine ganze Menge Möglichkeiten. Schade nur, dass die Umsetzung so manches Mal an ihren eigenen erzählerischen Kunstgriffen scheitert.
https://www.frank-schaetzing.com
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Meine Wertung: 83/100
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ISBN: 978-3-462-05084-4
736 Seiten, gebunden mit SU
Erscheinungsdatum: 24.04.2018
Preis
Deutschland: 26,00 €
Österreich: 26,80 €