ENTHEOS - Time Will Take Us All

Mit ihrem eigenständigen Genremix aus Death/Thrash/Industrial und Future Metal, hat sich das American Progressive Duo ENTHEOS, das im Jahre 2015 erstmals on stage erschien, bereits eine ordentliche Fanbase erarbeiten können. Ihre unzähligen Vocal One-Take-Playthroughs, in denen sich Frontscreamerin Chaney Crabb voller Inbrunst die Stimmbänder blutig raspelt, wurden teilweise bis zu 100.000 Mal aufgerufen. Ihr drittes Vollwerk "Time Will Take Us All", welches ursprünglich für Anfang 2022 vorgesehen war, musste immer wieder nach hinten verschoben werden, denn exakt an dem Tag im August 2021, an dem die Aufnahmen beginnen sollten, stürzte Chaney schwer mit ihrem Elektroroller. Der Unfall brachte ihr heftige Gesichtsverletzungen bei (eine aufgespaltene Oberlippe, Kies in der Unterlippe, die auch die Haut vom Kinn trennte, sowie einen gespaltenen Nasenscheidewandknochen), die mit etwa 100 Stichen genäht werden mussten. Chaney war daraufhin drei Monate lang außer Gefecht gesetzt und konnte in dieser Zeit nicht singen. 

Die Produktion des 40:20-minütigen "Time Will Take Us All", das laut ENTHEOS in seiner Gesamtheit gehört und verstanden werden sollte, stammt von Navene Koperweis himself. Bandgründer und Multiinstrumentalist Navene hat hierbei sämtliche musikalischen Einflüsse differenziert und in einer brillanten Klarheit austariert. So fügen sich Instrumentalisierung, Gesang und die unterschiedlichen Stilrichtungen zu einer gravitativen Dynamik aus technischer und progressiver Finesse zusammen, die den Extrem-Metaller zum Eintauchen, Wegdriften und Träumen einlädt. ENTHEOS verfolgen mit Leidenschaft disharmonische Melodieführungen, die zeitweise ins jazzige abdriften oder schon mal extravagante, orientalische Anklänge aufgreifen. Die Next Generation Tech-Death-Unit, die seit 2020 als festes Duo agiert, füllt seine vakanten Plätze mit Session Musikern aus, weil sich so besser arbeiten lässt und nicht zu viele verschiedene Meinungen innerhalb des Schreibprozesses berücksichtigt werden müssen. So agiert das ehemalige Gründungsmitglied Evan Brewer (FALLUJAH) heute lediglich noch als Session-Bassist. Für die Live-Besetzung springen Brian James an der Rhythm-, sowie Robert Brown an der Lead-Gitarre ein, während es sich Koperweis hinter der Schießbude bequem macht.

Die neun frischen Soundgebilde der US-amerikanischen Abrissbirne setzen sich aus progressiven Death Metal-, Groove-, Slam-, Jazz-, Prog-, Djent und Math-Sequenzen zusammen und bilden eine spritzige und energiegeladene Einheit. Nach vorne pushende Rhythmen, rohe Aggressivität und das arschtighte, hochinteressante Guitarplay erzeugen eine unverkennbare Atmosphäre. Von ruhigen bis chaotischen Tönen ist auf "Time Will Take Us All" einfach alles vertreten. Chaney spielt ihre Vocalrange, aus zumeist harten, abgehackten Growl- und Grunt-Eruptionen, galligem Screaming, wütendem Roaring, sowie dezent und eher bedächtig eingesetztem cleanen Gesang astrein aus und steht ihren männlichen Kollegen in absolut nichts nach. Es ist schon brutal, was diese Frau auf "Time Will Take Us All" abliefert! Zum Teil wurden unterschiedliche Vocalstile als Layers übereinander oder aneinander gemischt, was innerhalb der Songs zusätzlich Härte, Flow und Schwermut generiert. Das fette, zumeist kurz angerissene und mit Palmmuting abgeblockte Geschranze (wie u. a. beim Djent üblich) rundet die 1 A Produktion aufs Feinste ab.

Seinen soundtechnischen Feinschliff erhielt ENTHEOS 3.0 vom US-amerikanischen Sounddesigner Mark Lewis (FALLUJAH, NILE, THE BLACK DAHLIA MURDER, WHITECHAPEL), der sein eigenes Studio in Nashville, Tennessee betreibt. Wie es der Albumtitel unschwer erahnen lässt, befasst sich "Time Will Take Us All" mit unserer Vergänglichkeit, der kurzen Zeit, die uns auf Erden bleibt und unserer ureigenen Entscheidungsgewalt darüber, was wir daraus machen. Es geht um unsere kostbare Zeit, geistiges Wachstum, Selbstreflexion und die innerlichen, wie äußerlichen Kämpfen, denen wir uns im Leben zwangsläufig immer wieder stellen müssen. Das Album besitzt auch durchaus epische Anlagen, die dem klar durchstrukturierten Stilmix, zusätzlich Kraft, Individualität und die nötige Kurzweil verleihen.

(Janko)

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