Brea im Orange County, Kalifornien, allem Anschein nach in der Gegenwart. Gloria Jaymes staunt nicht schlecht, als ihre Mutter Nora direkt nach deren Beerdigung vor ihrer ehemaligen Haustür steht und um Einlass bittet. Es ist jedoch eine, um vierzig Jahre jüngere Version ihrer Mom, die in schrille 80er Jahre Klamotten gehüllt ist, grelles Make-up aufgetragen und das Haar hochtoupiert hat. Genau wie damals, als Gloria noch ein Kind war. Als sie ihre nunmehr gleichaltrige Mutter einlässt, scheint niemand der trauernden Gäste selbige wiederzuerkennen. Selbst Noras Schwester, ihre beste Freundin Maxine, Glorias Ehemann Benjamin, sowie die beiden neun- und achtjährigen Kinder Bradley und Lucas - Noras Enkelkinder - erkennen sie nicht wieder. Trotzdem nehmen sie Nora wie selbstverständlich in ihrer Mitte auf, ohne auch nur ein einziges Mal die Frage zu stellen, wo Nora herkommt und wer sie eigentlich ist. Gloria hingegen stellt gelegentlich Fragen und ihre Mom liefert ihr Antworten, zumindest zu den Fragen, die sie beantworten kann. Nora gibt an, Veränderungen an sich zu bemerken, aber gleichzeitig auch, selbst keine Erklärung dafür zu haben. Warum sie wieder hier und in etwa so alt wie ihre Tochter ist, kann Nora ebenfalls nicht beantworten.
2021 im amerikanischen Original unter gleichem Titel erschienen, ist der 408 Seiten umfassende CEMETERY DANCE GERMANY - Band 13 "Gloria" ein bisschen Horrorstory, ein intelligenter Mystery-Thriller, aber auch humorvolle Groteske, wundersame Halluzination und verlustreiche Liebesgeschichte. Der 1960 in Mesa, Arizona geborene Schriftsteller Bentley Little lässt seine Leserschaft lange im Unklaren über den Hintergrund der seltsamen Geschehnisse rund um seine Hauptprotagonistin Gloria und macht um die Frage "Wer hat sie hier eigentlich nicht mehr alle beisammen?", zunächst einmal einen großen Bogen. Er baut seine grotesken Entwicklungen zugänglich, enorm spannend und nicht allzu verwirrend auf, schiebt fiese Cliffhanger ein, spielt mit einer beängstigenden, weil völlig unklaren Stimmung und kreiert daraus einen abgedrehten, skurrilen, übernatürlichen und bedrohlichen Roman, der eine ähnlich merkwürdige und bedrückende Atmosphäre aufweist, wie sein Vorgänger "The Bank". Der US-Amerikaner Bentley Little beschäftigt sich recht intensiv mit seinen Charakteren und baut selbige, wie auch die Erzählung an sich, gemächlich und sympathisch auf. Je weiter "Gloria" voranschreitet, umso verworrener nehmen sich die bedrückenden Geschehnisse rund um die verängstigte Protagonistin aus, was in einer zum Zerreißen gespannten Dramaturgie mündet.
Alle Illustrationen von Glenn Chadbourne
Als Gloria ihren ehemaligen Schwarm Bobby Perez zufällig während ihrer Mittagspause in einem Restaurant trifft und ihn anschließend googelt, wird die Geschichte noch grotesker und Gloria weiß bald nicht mehr, was ihre verworrene Realität oder ihr Wissen darum noch wert sind.
Glorias Leben gerät in dem Moment, in dem ihre Familie ein schweres Schicksal ereilt, endgültig aus den Fugen und sie versucht gemeinsam mit den Kindern vor diesem, sich anbahnenden Albtraum zu fliehen. Doch wie Gloria voller Entsetzen feststellen muss, lässt sich dieser gar nicht abschütteln. Ganz im Gegenteil, denn je weiter sie versucht zu entfliehen, desto merkwürdiger und surrealer nimmt sich ihr direktes Umfeld und ihre Umwelt aus. Träumt sie? Befindet sie sich zeitweise in einem Paralleluniversum, leidet sie an einer gesteigerten Version der Schizophrenie oder springt sie zwischen verschiedenen Realitäten hin und her? Denn wie sind diese unerklärlichen Ereignisse und Veränderungen um sie herum sonst zu erklären?
Mit dem kompletten Realitätsverlust "Gloria" hat Bentley Little verschiedene Geschichten unter variierenden Umständen und verschiedenen Gesichtspunkten kreiert, die der Protagonistin Gloria jedes Mal übel mitspielen und jeweils in die gleiche Richtung münden. Das Wie und Warum, das auf einem sich ständig (um-)wandelnden Pfad, hinter Schmerzen, Verlust, Irrsinn und Angst steht, muss die potenzielle Leserschaft selbstredend für sich selbst erkunden. Dabei sollte man als Leser getrost über die ein oder andere Unstimmigkeit in Bentley Littles Monstrositäten-Kabinettstück hinwegsehen können, denn letzten Endes wird man mit einem komplexen, gut durchdachten und undurchsichtigen Schauermar belohnt. "Gloria" liest sich, wie eine einzige, durchgängige Halluzination!
(Janko)
Brutalität/Gewalt: 28/100
Spannung: 84/100
Action: 79/100
Unterhaltung: 85/100
Anspruch: 33/100
Humor: 04/100
Sex/Obszönität: 03/100
LACK OF LIES - Wertung: 84/100
Bentley Little - Gloria
Buchheim Verlag
Weirdo Horror
Buchreihe: CEMETERY DANCE GERMANY - Band 13
ISBN: Privatdruck ohne ISBN
408 Seiten
Gebundene Ausgabe mit Lesebändchen; Amerikanisches Buchformat 23,5 x 16,5 cm
Originaltitel: GLORIA
Aus dem Amerikanischen von Christian Jentzsch
Illustratoren: Glenn Chadbourne, Vincent Chong
Limitierung: 999 Stück (handnummeriert)
Erscheinungstermin: 27.05.2022
EUR 44,99 Euro [DE] inkl. MwSt.