Mittlerweile selbst Abonnent, der Cemetery Dance Germany Buchreihe aus dem, im sächsischen Grimma gelegenen Buchheim Verlag, ist es mir immer wieder ein Pläsier, die bibliophil gefertigten, auf 999 Exemplare limitierten, herausragend illustrierten und handsignierten Meisterwerke zu rezensieren. Den 21. Band der CDG-Reihe nimmt der 1969 in Birmingham geborenen Schriftsteller Adam Nevill und sein, 2013 im englischen Original erschienenes Werk "House Of Small Shadows" ein. Nevills metaphorisch angehauchter, gehobener und leicht verträumt anmutender Schreibstil schürft im visionären Dunstkreis der Vergangenheit und einer längst vergessen geglaubten, anachronistischen Aristokratie. Grazil aufgebaut, fabelhaft arrangiert und dennoch nicht immer leicht zu lesen, führt der britische Schriftsteller selbigen anstandslos hinüber ins gegenwärtige 21. Jahrhundert. Mit einem, im Subtext verankerten schaurigen Unterton, geleitet Nevill seine Leserschaft in einen anspruchsvollen, labyrinthischen Albtraum aus Maskerade, Groteske, Täuschung, Illusion und Wahn. Den beklemmenden und verstörenden Schrecken in all seinen Schattierungen, bezieht "House Of Small Shadows" aus vagabundierenden Trugbildern, morbiden Empfindungen und einer irrationalen und ungewissen Wahrheit, der es auf die Spur zu kommen gilt. Der Schrecken wabert in seinem ganz eigenen psychedelischen Äther, legt sich dabei wie ein kaltes Tuch um den Leser, und lässt selbigen bedächtig frösteln.
Ländliches Herefordshire, in der Region West Midlands, England, nahe der Grenze zu Wales. In ihrer Funktion als Gutachterin für das Auktionshaus Osberne, soll die 38 Jahre alte Catherine Howard sündhaft teure Puppen aus dem Nachlass des Taxidermisten, Puppenspielers und leidenschaftlichen Dioramen-Künstlers M. H. Mason begutachten. Seine einzige, noch lebende Nachfahrin, die sonderbare 93-jährige Edith Mason, bietet diese einmalige Sammlung, im Roten Haus zum Kauf an. Das etwas außerhalb von Magbar Wood gelegene Anwesen im eigentümlichen, viktorianischen Stil, wie auch seine wenigen Bewohner, machen auf die psychisch stark angeknackste Catherine einen unbehaglichen, ja regelrecht unpassenden Eindruck. Doch es winkt ein lukratives Geschäft, das man nicht ausschlagen darf. Nach einer ersten Begutachtung der erstaunlich gut erhaltenen Puppensammlung und der Vielzahl an Dioramen aus 1.000 toten Ratten, die in selbstgeschneiderten Uniformen Kriegsszenen nachstellen, kehrt Catherine erstmals wieder in ihr nahegelegenes, einstmaliges Heimatdorf Ellyll Fields zurück. Sie bezeichnet es auch als »Die Hölle«, in der sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens durchlitten hatte. Das Dorf, aus dem in der Vergangenheit immer wieder Kinder spurlos verschwunden sind.
Adam Nevill wagt dabei einen psychologischen Rückblick in Catherines prägende und demütigende Kindheit. So beleuchtet der britische Autor unter anderem ihre, von Mobbing geprägte Schulzeit, in einem einnehmenden, kurzweiligen Plauderton. Durch seine charismatische Bindung zur örtlichen, wie auch zur landschaftlichen Kulisse und der intensiven Beschreibung von Gerüchen, Gefühlen, Geräuschen, Gedanken und Empfindungen, erzeugt er mit "House Of Small Shadows" eine beseelte, aber auch unterschwellig heimtückische Explosion der Sinne. Nevill ist nämlich ein wahnsinnig guter Erzähler, der seine Leserschaft gerne mit verschnörkelten Satzstellungen herausfordert und auf den einen oder anderen Bücherfreund durchaus langatmig wirken kann. Auch die ausladende und ausschweifende Einleitung dürfte mancher actionverwöhnten Leseratte eine Menge Geduld abverlangen. Der geheimnisvolle, vergeistigte und atmosphärisch dichte Horror-Roman des britischen Autors umgibt eine komplexe, tiefgreifende und niveauvoll inszenierte Aura, die mit erstaunlich wenig Action und Gewalt auskommt. Nevill lässt dem Leser erstaunlich viel Raum für eigene Interpretationen und als man letztendlich zu erkennen glaubt, worauf sich Catherine da eingelassen hat, wird seine Erzählung immer eindringlicher, intensiver und surrealer. In dem fleischgewordenen Fiebertraum "House Of Small Shadows" geht es rein um das Böse, das Surreale und die sogartige Wirkung der Groteske, die sich allesamt weit über das Gelesene hinauslehnen.
Alle Illustrationen von François Vaillancourt
Catherine Howard, die an Verfolgungswahn, Halluzinationen, sowie Narkolepsie leidet, wirkt seltsam verändert, ja regelrecht entwurzelt. Sie ist unsicher und sich selbst entfremdet. Als sie von Edith Mason aufgefordert wird, für die Zeit der Begutachtung von M. H. Masons Nachlass gemeinsam mit ihr und der schweigsamen Haushälterin Maude im Roten Haus zu wohnen, verliert sich Catherine endgültig in verzweifelter Angst und nebulöser Panik. Edith spielt ihre infame Intelligenz auf perfide Weise gegen Catherine und deren durcheinandergeratener Gefühlswelt aus. Die alte Frau maßregelt Catherine, fordert die Gutachterin zur Zurückhaltung auf und belastet sie mit nahezu greifbaren Schuldgefühlen. Catherine durchläuft eine ungewollte, geistige Metamorphose und kommt sich im Roten Haus seltsam entrückt und fehl am Platz vor. Was soll sie hier? Warum schiebt man die Katalogisierung des Inventars immer wieder für augenscheinlich belanglose Inszenierungen auf? Warum fühlt sich die Gutachterin ihrem Job gegenüber derart verpflichtet, dass sie all die Missbilligungen, das Schweigen und die offensichtliche und linkische Ablehnung auf sich nimmt? Doch die psychedelischen Schrecken, die trügerischen Träume aus Arsen, Borsäure, Chloroform, Laudanum und Schwefelsäure, sowie der unverwechselbare Geruch nach Verwesung und Tod, die im Roten Haus allmählich über Catherine hereinbrechen, erweisen sich als Mahlstrom ihres ganz persönlichen Horrors. Je weiter Catherine in die Schrecken des Anwesens vordringt, je mehr infiltrieren und vernebeln ihre eigenen kognitiven Fähigkeiten ihr allmählich den Verstand. Dabei stößt sie auf umfassende Abartigkeiten, die nur einem kranken Geiste entsprungen sein können.
(Janko)
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Brutalität/Gewalt: 20/100
Spannung: 50/100
Action: 29/100
Unterhaltung: 87/100
Anspruch: 88/100
Atmosphäre: 83/100
Emotion: 75/100
Humor: 05/100
Sex/Obszönität: 07/100
LACK OF LIES - Wertung: 85/100
LACK OF LIES - Altersempfehlung (NEU!!!): ab 30 Jahren (aufgrund des hohen Anspruchs, der Begrifflichkeiten, der gehobenen Syntax, des kognitiven Verständnisses, sowie der „zeitgeschichtlichen“ Einordnungen)
Adam Nevill - House Of Small Shadows
Buchheim Verlag
Horror
Buchreihe: CEMETERY DANCE GERMANY - Band 21
ISBN: Privatdruck ohne ISBN
376 Seiten
hochwertiges Hardcover mit Lesebändchen; Amerikanisches Buchformat 23,5 x 16,5 cm
Originaltitel: House Of Small Shadows (2013)
Aus dem Englischen von Christian Jentzsch
Illustratoren: François Vaillancourt
Limitierung: 999 Stück (handnummeriert und handsigniert)
Erscheinungstermin: 15.12.2023
EUR 44,99 Euro / Vorbestellbar zum Subskriptionspreis von 39,99 € [DE] inkl. MwSt.
"House Of Small Shadows" beim Buchheim Verlag: https://www.buchheim-verlag.de/adam-nevill-house-of-small-shadows.html